Bozen, Südtirol. Wir schreiben die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Amalia Fleischer ist gerade als erste Frau in Bozen als Rechtsanwältin zugelassen worden.
Frau, Rechtsanwältin, Jüdin - sie vereinte in sich drei fast unüberwindbare Schwierigkeiten. Schon deshalb ist ihre Biographie eine beispielhafte, aber auch bewegende Geschichte einer willensstarken und mutigen Frau. Ihr Ende war tragisch, wie das so vieler Juden ihrer Zeit.
Amalia Fleischer, 1885 in Wien geboren, verbrachte die schweren Jahre des Ersten Weltkriegs in Südtirol, wo sich ihr Vater aus beruflichen Gründen aufhielt. Aus Südtirol kehrte sie zum Studium nach Österreich zurück und absolvierte an der Universität Innsbruck das Studium der Philosophie - damals die einzige Fakultät, die Frauen zugänglich war.
Schon früh entdeckte sie ihre wahre Leidenschaft: die Jurisprudenz. Nach der Öffnung der Fakultäten für Frauen im Jahr 1921 studierte sie Rechtswissenschaften, zunächst in Innsbruck, dann an der Sapienza in Rom. Sie schloss ihr Studium mit einer Dissertation über kanonisches Recht ab.
Während ihres Aufenthalts in Rom beantragte sie die italienische Staatsbürgerschaft. Sie ließ sich taufen, konvertierte zum Katholizismus und arbeitete im Vatikanischen Archiv.
Anfang 1927 kehrte sie nach Meran zurück. Kurz darauf bewarb sie sich als erste Frau in Südtirol erfolgreich um die Zulassung als Prokuratorin und arbeitete in den folgenden Jahren in verschiedenen Kanzleien in Meran und auch in Bozen, bevor sie sich 1935 erfolgreich als Rechtsanwältin in die Liste der Rechtsanwaltskammer Bozen eintragen ließ.
Später unterrichtete sie Deutsch in Faenza, wo sie 1943 wegen ihrer jüdischen Herkunft verhaftet wurde. Von dort wurde sie in die Gefängnisse von Ravenna und Mailand gebracht und am 30. Januar 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Ihr genaues Todesdatum ist nicht bekannt.
Was bedeutet Heimat? Für die einen ist es ein konkreter Ort, für die anderen ein Gefühl, ein Geruch, etwas, das mit bestimmten Menschen oder Erinnerungen verbunden ist und vieles mehr. Heute wird der Begriff Heimat oft für ideologische oder politische Zwecke missbraucht. Das war in der Nazizeit nicht anders …
In bestimmten Kontexten wurde und wird der Heimatbegriff mit rassistischen, menschenfeindlichen oder antisemitischen Äußerungen verbunden. So auch in Südtirol, wo die Juden jahrhundertelang Repressalien ausgesetzt waren.
In der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde Südtirol von einer Heuschreckenplage, einem schweren Erdbeben und der Pest heimgesucht. Das war wohl zu viel für die Bevölkerung. Ein Schuldiger musste her: die Juden. Es folgten Gräueltaten an Juden, die angeblich Brunnen vergiftet hatten, um die Christen auszurotten.
Habgier spielte oft eine große Rolle bei Neid, Intoleranz und Hass. So wurde Mitte des 15. Jahrhunderts in Meran ein totes Kind im Haus eines Juden versteckt. Das Komplott flog jedoch rechtzeitig auf. Immer wieder wurden Juden in ganz Europa und auch in Südtirol beschuldigt, Ritualmorde an Kindern begangen zu haben.
Und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland kam es auch in Meran zu antisemitischen Ausschreitungen, die ein eigenes dunkles Kapitel in der Geschichte Südtirols darstellen.
Was soll die theoretische Frage an uns selbst, ob wir im Jahre 1939 feige oder mutig gewesen wären, wo die Frage doch nur lauten kann, ob wir heute feige oder mutig sind.
Juden in Südtirol - nicht wenige von ihnen prägten jahrelang das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben des Landes. Dann waren sie wegen ihrer Herkunft, wegen ihrer Religion nicht mehr erwünscht. Ein Weg des Leidens und Verschwindens begann. Es ist eine Form der Verantwortung, die Erinnerung an diese Menschen wach zu halten.
Literaturhinweise: