Klischees

Wilde Bergweiber

Wilde Bergweiber

Ende des 19. Jahrhunderts zogen immer mehr Menschen - pardon, Männer - in die Alpen, um das Abenteuer in der Natur zu suchen - der Bergsport boomte. Frauen sollten jedoch von den Bergen ferngehalten werden.

Frauen seien für den Bergsport nicht geschaffen, er könne sie vermännlichen, ihre zarten weiblichen Körper hässlich und unästhetisch machen. Damit einher ginge der Verlust der Weiblichkeit. Frauen, die auf Berge steigen, seien schließlich wilde Bergweiber und ungepflegte Zottelhexen.

Trotz aller Versuche, Frauen vom Bergsport abzuhalten, gab es sie, die Gipfelstürmerinnen, die sich nicht davon abhalten ließen, selbst das Abenteuer in den Bergen zu suchen.

Die erste große Alpinistin

Lange bevor die Römer die Alpen überquerten, nutzten bereits germanische und keltische Kulturen die Wege über die Alpenpässe. Die Überquerung des Gebirges galt als gefährlich. Dennoch transportierten Händler und Boten ihre Nachrichten und Waren in so genannten Buckelkraxen über die teils unwegsamen Pässe. Später legten römische Straßenbauer weitgehend wetterfeste und möglichst geradlinige Wege über die Alpen an. Aber niemand kam damals auf die Idee, aus purer Abenteuerlust die Berge zu erklimmen. Dies sollte sich erst viele hundert Jahre später ändern.

Erst im 19. Jahrhundert wurden die Berge um ihrer selbst willen bestiegen. Die Französin Marie Paradis (1778-1839) bestieg 1808 als erste Frau den Mont Blanc. Als erste große Bergsteigerin gilt jedoch die Französin Henriette d’Angeville (1794-1871), die 1838 als zweite Frau den Gipfel des Mont Blanc erreichte. Henriette d’Angeville bestieg in der Folge mehr als zwanzig weitere Berge in den Alpen und wurde so zur ersten großen Alpinistin. Sie widmete sich auch der Höhlenforschung.

Damals wanderten und kletterten die Frauen noch in Röcken, darunter trugen sie Pumphosen und wattierte Unterröcke. Henriette d’Angeville entwarf sogar ihre eigene Bergkleidung. Nach ihrer Rückkehr wurde sie jedoch dafür kritisiert, sich für eine Frau so “unschicklich” gekleidet zu haben.

Die erste Frau auf dem Matterhorn

Die Liebe zu den Bergen kann auf ganz unterschiedliche Weise entfacht werden. Was manchmal als Kuraufenthalt gedacht war, ist für manche zur großen Leidenschaft geworden: Die Britin Lucy Walker (1836-1916) ging auf Anraten ihres Arztes in die Berge, um ihr Rheumaleiden durch Wandern zu lindern. Dabei entdeckte sie ihre Liebe zu den Bergen, die sie nicht nur aus der Ferne betrachten, sondern auch besteigen wollte.

Das Matterhorn galt damals unter Bergsteigern als der begehrteste Gipfel der Alpen. 1871 bestieg Lucy Walker als erste Frau das Matterhorn und schrieb damit Geschichte. Nur sechs Jahre zuvor standen die ersten Männer auf dem Matterhorn, der Engländer Edward Whymper mit seiner Seilschaft.

Südtirolerin mit Biss

Mit der Zeit wurden die Routen immer schwieriger und immer mehr Menschen waren in den Bergen unterwegs. Eine Südtiroler Pionierin des Bergsteigens und Kletterns war Paula Wiesinger (1907-2001), die als eine der ersten Frauen eine Seilschaft im damals höchsten Schwierigkeitsgrad führen konnte.

Sie erschloss neue, anspruchsvolle Kletterrouten. Gemeinsam mit ihrem Mann Hans Steger eröffnete sie legendäre Routen wie die Ostroute der Rosengartenspitze in den Dolomiten.

Emanzipation am Berg

Langsam aber sicher drangen die Frauen in bisherigen Männerdomänen vor und sorgten für Aufsehen. Sie zeigten in einem emanzipatorischen Akt, dass auch sie zu herausragenden Leistungen am Berg fähig waren. Sie demonstrierten, dass die Erfolge der Männer sehr wohl auch von Frauen erzielt werden können.

Dann geschah eine einmalige Pionierleistung. Der Amerikanerin Lynn Hill gelang 1993 mit der ersten freien Begehung der Nose, eine etwa 1000 Meter lange Kletterroute in Kalifornien, ein Paukenschlag - wenngleich abseits der Alpen. Denn sie war nicht nur die erste Frau, sondern auch der erste Mensch, der diese berüchtigte Route frei kletterte. Kein Mann hatte das vor ihr geschafft.

Lange hielt sich der Spruch “Die Frau ist der Ruin des Alpinismus”. Mittlerweile konnten jedoch zahlreiche Frauen beweisen, dass diese Diskussion um ihre Leistungen in Zusammenhang mit ihrem Geschlecht langsam überholt sein dürfte.

Literaturhinweise:

  • Fink, Caroline & Karin Steinbach. 2013. Erste am Seil. Pionierinnen in Fels und Eis. Wenn Frauen in den Bergen ihren eigenen Weg gehen. Tyrolia-Verlag.
  • Wirz, Tanja. 2007. Gipfelstürmerinnen. Eine Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz 1840-1940. Hier+Jetzt.

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