Frauenrollen Philosophie

Humanistin an der Leine

Humanistin an der Leine

Cassandra Fedele war die erste unabhängige Schriftstellerin, die in ganz Europa bekannt wurde und moralische, philosophische und politische Themen öffentlich aufgriff und mit ihren Worten interpretierte. Doch wie wurde eine italienische Frau aus der Mittelschicht zur bekanntesten Humanistin?

Aufstieg und Bekanntheit durch ihre Gelehrtheit

Cassandra Fedele galt als Wunderkind: Mit zwölf Jahren sprach sie fließend Latein und Griechisch, die ihr Vater ihr beigebracht hatte. Außerdem studierte sie klassische Literatur und Philosophie bei einem Hauslehrer.

Mit sechzehn Jahren gehörte sie einem Kreis von Gelehrten an, der sich an der Universität von Padua gebildet hatte. Anlässlich der Abschlussfeier ihres Cousins an der Universität Padua hielt sie eine Rede in lateinischer Sprache, in der sie die Künste und Wissenschaften lobte. Diese Rede wurde in Modena (1487), Venedig (1488) und sogar in Nürnberg (1489) veröffentlicht. Mit dieser Rede wurde sie als Schriftstellerin in Italien, Deutschland und Ungarn bekannt und anerkannt.

Der italienische Gelehrte Giorgio Valla lud Cassandra Fedele zu einem weiteren öffentlichen Vortrag ein. In dieser Rede, die sie vor dem Senat von Venedig hielt, sprach sie über die Bedeutung der Literatur und der Bildung für Frauen.

Zwischen 1487 und 1498 schrieb sie über 100 Briefe an wichtige Persönlichkeiten in ganz Europa. Ende des 15. Jahrhunderts galt sie bereits als die bedeutendste Humanistin ihrer Zeit. Isabella von Kastilien versuchte, sie an den spanischen Hof zu holen. Cassandra Fedele lehnte ab und heiratete den Arzt Gian-Maria Mapelli.

Hochzeit, Stille und Absturz

Über die Zeit nach der Heirat ist wenig bekannt. Es wird jedoch angenommen, dass sie mit der Heirat ihr Studium abbrach. 1515 zog das Paar nach Kreta, wo Mapelli als Arzt praktizierte. Fünf Jahre später, 1520, kehrten sie nach Venedig zurück. Auf der Überfahrt verloren sie jedoch ihr gesamtes Hab und Gut. Als Mapelli 1521 starb, geriet Cassandra Fedeli in finanzielle Schwierigkeiten.

Sie schrieb an Papst Leo X. und bat ihn, ihr zu helfen, was dieser jedoch ablehnte. Erst als sie 1547 seinen Nachfolger Papst Paul III. um Hilfe bat, erhielt sie eine Stelle als Priorin eines Waisenhauses.

Späte Ehre

Im hohen Alter wurde Cassandra Fedele noch einmal gebeten, eine öffentliche Rede zu halten. Anlass war der Besuch der aus Italien stammenden polnischen Königinmutter Bona Sforza (1494-1557) im Jahr 1556.

Zwei Jahre später starb Cassandra Fedele im Alter von 93 Jahren. Als letzte Ehrung wurde ihr ein Ehrenbegräbnis zuteil.

Bildung an der kurzen Leine

In der Renaissance gab es Väter, die ihre Töchter innerhalb bestimmter Grenzen ausbilden ließen. Aber die gesellschaftliche Ordnung musste gewahrt bleiben: Nach der Heirat gab es andere Aufgaben und Pflichten, die eine Frau zu erfüllen hatte.

So erging es auch Cassandra Fedele, die zur Poetin und Zierde Italiens aufstieg, weit über die Grenzen hinaus bekannt wurde, um die es nach der Hochzeit allerdings still wurde, bis sie abstürzte und ein Leben in Armut führen musste.

Literaturhinweise:

  • Meyer, Ursula I. 2007. Die andere Philosophiegeschichte. Aachen: ein-FACH-verlag.
  • Robin, Diana. 2000. Cassandra Fedele: Letters and Orations. The University of Chicago Press.