Philosophie

Bis zu den Knien im Frauenblut

Bis zu den Knien im Frauenblut

Mary Daly (1928-2010) war eine radikale Feministin, deren Ziel es war, die Praktiken des Patriarchats zu entlarven und den Frauen eine Sprache zu geben, die frei von patriarchalisch konnotierten Wörtern ist. Wohl auch deshalb galt sie lange Zeit als schwer lesbar und kaum in andere Sprachen übersetzbar.

Nichts gleicht dem Klang, wenn Frauen richtig lachen. Das tosende Gelächter von Frauen ist wie das Tosen der ewigen See.

Geboren wurde Mary Daly in New York als Tochter eine Arbeiterfamilie mit irischen Wurzeln. Sie promovierte in Theologie und ging anschließend nach Fribourg in der Schweiz, wo sie zwei weitere Doktorgrade erwarb: erneut in Theologie und in Philosophie.

Daly kehrte in die USA zurück und wurde außerordentliche Professorin an der theologischen Fakultät des jesuitischen Boston College. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassten Gottes- und Geschlechtertheologie, feministische Ethik sowie Theorie und Geschichte des Patriarchats.

Religionen als irreparabel patriarchal

Nach der Veröffentlichung ihres ersten Buches The Church and the Second Sex (1968; dt. Kirche, Frau und Sexus), in dem sie die Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche anprangerte, drohte ihr die Entlassung aus dem Universitätsdienst. Eine Petition mit 1500 Unterschriften der damals noch überwiegend männlichen Studentenschaft und die Unterstützung der Öffentlichkeit führten jedoch zu ihrer Weiterbeschäftigung.

Mary Daly war dafür bekannt, dass sie sich weigerte, männliche Studenten zu ihren Kursen über feministische Ethik zuzulassen.

Dekonstruktion patriarchaler Sprache

Spielerisch dekonstruierte sie das, was sie als patriarchale Sprache bezeichnete. Eines ihrer bekanntesten Wortspiele war the-rapist. Therapist, der Therapeut, wird durch den Bindestrich zum Vergewaltiger (the rapist).

Sie schrieb darüber in ihrem wichtigsten Buch: Gyn/Ecology (1978; dt. Gyn/Ökologie). Darin deckt sie Praktiken auf, mit denen Männer Frauen verstümmelten und damit gleichzeitig das Patriarchat festigten, wie Mary Daly es nennt. Zu diesen Praktiken zählt sie die Genitalverstümmelung in Afrika, die Witwenverbrennung in Indien, das Füßebinden in China, die Hexenverbrennung in Europa und die Gynäkologie in den USA, die sie mit der nationalsozialistischen Medizin vergleicht.

Oft wurde ihr vorgeworfen, sie sei zu extrem, zu radikal. In ihrer Autobiography Outercourse (1992; dt. Auswärts reisen) greift sie diese Kritik auf und antwortet darauf:

Während wir bis zu den Knien im Frauenblut waten, soll ich über Freud, Derrida und Foucault plaudern?

  • Mary Daly, aus: Outercourse, 1992, S. 340.

Dabei war es ihr wichtig, die Männer nicht durch Frauen zu ersetzen. Denn dann blieben patriarchale Strukturen wie Macht oder Herrschaft erhalten und die Frauen würden zu Komplizinnen des Patriarchats. Aber eine neue Sprache, neue Werte, neue Strukturen könnten durch die Sünde entstehen und schließlich das Patriarchat aufbrechen.

Sündige, um zu sein!

Mary Daly entdeckte, dass das Wort sin (Sünde) von der indogermanischen Wurzel “es-” abstammt. Sie erkannte sofort, wie sie schrieb, dass jemand, der im Patriarchat gefangen ist, das sie als die Religion des ganzen Planeten verstand, buchstäblich sündigen muss, um zu sein.

Sie rief also zur Sünde auf. Und zwar nicht gegen die “kleinen” Religionen wie Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus oder Buddhismus, auch nicht gegen deren Ableger wie Marxismus, Maoismus, Freudianismus oder Jungianismus - sondern gegen die große Weltreligion namens Patriarchat.

Literaturhinweise:

  • Ratzel, Eveline. 2011. The Big Sin. Die Lust zum Sündigen. Mary Daly und ihr Werk. Christel Göttert Verlag.
  • Rullmann, Marit & Werner Schlegel. 2018. Denken, um zu leben. Wiesbaden: marixverlag.