Frauenrollen

Bewegte Zeiten

Bewegte Zeiten

Elizabeth Carter (1717-1806) liebte das Wandern, obwohl es zu ihrer Zeit noch verpönt war. Sie ging ihren eigenen Weg, nicht nur beim Wandern, sondern auch in ihrer intellektuellen Tätigkeit und lieferte eine Übersetzung sämtlicher Werke des Stoikers Epiktet ins Englische, die bis ins 20. Jahrhundert als Standardwerk galt.

[Sie] hätte sich verneigen müssen vor dem robusten Schatten von Eliza Carter - jener wackeren alten Frau, die sich eine Glocke ans Bettgestell band, um früh aufzuwachen und Griechisch zu lernen.

  • Virginia Woolf, britische Schrifstellerin, aus: Ein eigenes Zimmer, 2007 [1929], S. 66.

Doch nicht nur Elizabeth Carter war in Bewegung. Die Zeit, in der sie lebte, war durch und durch eine Zeit der Bewegung, vor allem in geistiger Hinsicht. Es war die Zeit der Aufklärung, eine Zeit des Umdenkens. Nicht mehr Gott allein war für alles im Leben verantwortlich, sondern die Menschen machten sich selbst Gedanken über die Fragen des Lebens, die Vernunft trat in den Vordergrund.

Im Rhythmus der Wanderungen

Elizabeth Carter, Tochter aus gutem Hause, hatte eine Vorliebe, die so gar nicht zu ihrem Stand passte: Sie liebte das Wandern. Sie lebte im Rhythmus ihrer Wanderungen, betrachtete das Wandern als wichtigen geistigen Prozess. Warum das ungewöhnlich war? Wer es sich leisten konnte, ging zu ihrer Zeit nicht zu Fuß.

Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen und kenne keinen Kummer, den man nicht weggehen kann.

  • Søren Kierkegaard (1813-1855), dänischer Philosoph.

Elizabeth Carter wanderte aus Überzeugung, nutzte die Bewegung, um geistigen Input zu verdauen. Dabei soll sie selbst beim Wandern oft noch ein Buch bei sich geführt haben, um sich im Rhythmus der Bewegung auch geistig zu bewegen.

Der Weg zur Gelehrten

Carter war die Tochter eines gelehrten Geistlichen, der sie ermutigte, Latein, Griechisch und Hebräisch zu lernen. Sie studierte auch Französisch, Deutsch, Italienisch, Portugiesisch, Arabisch, Astronomie, alte Geographie, alte und moderne Geschichte, Musik und Hauswirtschaft.

Im Alter von 17 Jahren veröffentlichte sie ihre ersten Gedichte. Ihren endgültigen Platz im Pantheon der Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts sicherte sie sich mit der Übersetzung des Gesamtwerks von Epiktet. Es war die erste englische Übersetzung dieses großen griechischen Philosophen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein sollte ihr Werk ein Standardwerk bleiben.

Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Meinungen und die Urteile über die Dinge.

  • Epiktet (c.50-138), antiker Philosoph, Vertreter der späten Stoa.

Carter unterhielt eine rege Korrespondenz mit verschiedenen Intellektuellen. Ihre Briefe zeichnen sich durch eine korrekte und klare Sprache, Urteilsvermögen, Aufrichtigkeit und eine eindringliche Frömmigkeit aus. Generell war ihr Interesse an religiösen Fragen groß.

Blaustrumpfgesellschaft & gesellschaftliche Normen

Sie war Mitglied der Blaustrumpfgesellschaft, einer Gruppe gelehrter Frauen, die sich mit männlichen Intellektuellen zu literarischen und politischen Diskussionen trafen. Es handelte sich dabei um einen Salon in London, der von der Schriftstellerin Elizabeth Montagu (1718-1800) geführt wurde.

Intelligente oder schreibende Frauen waren vielen Männern ein Gräuel, was sich auch in Karikaturen niederschlug. Diese Frauen wurden oft als geschlechtslos angesehen, die ihre mütterlichen Pflichten vernachlässigten, sich männliche Eigenschaften aneigneten und sich damit in den Augen der Kritiker lächerlich machten.

Literaturhinweise:

  • Andrews, Kerri. 2022. Frauen, die wandern, sind nie allein. Unterwegs mit berühmten Denkerinnen - von Anaïs Nin bis Virginia Woolf. Goldmann.
  • Carter, Elizabeth. 2005. Elizabeth Carter, 1717-1806. An edition of some unpublished letters. Herausgegeben von Gwen Hampshire. University of Delaware Press.
  • Eger, Elizabeth. 2010. Bluestockings. Women of Reason from Enlightenment to Romanticism. Palgrave Macmillan.