Pionierinnen

Enheduanna

Enheduanna

Der erste dokumentierte Schriftsteller der Menschheitsgeschichte war eine Frau. Selbstbewusst setzte sie ihren Namen unter ihre Schriften und blieb der Nachwelt erhalten.

Wir befinden uns im 23. Jahrhundert vor Christus. Vor wenigen Jahrhunderten wurden die ersten Schriftzeichen für kaufmännische Notizen erfunden - die Keilschrift. Schreiber nehmen mittlerweile eine wichtige Stellung in der Gesellschaft ein. Allerdings benutzen sie die Schrift für die Buchhaltung und nicht zum Verfassen literarischer Werke.

Es ist eine Frau, die Hohepriesterin Enheduanna, die erste literarische Texte niederschreibt. Sie verfasst Loblieder und Gedichte, die erhalten bleiben. Und das Besondere daran: Sie kennzeichnet diese Schriften mit ihrem Namen. Somit wird sie zur ersten bekannten Urheberin.

Wie kann es sein, dass ihren Namen so wenige kennen? Lange Zeit war es schlichtweg undenkbar, dass ausgerechnet eine Frau bereits im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung literarisch tätig war. Das widersprach dem Rollen- und Weltbild von patriarchalisch geprägten Gesellschaften.

Königstochter, Hohepriesterin und Schriftstellerin

Enheduanna wurde als Tochter des Königs Sargon von Akkade, dem ersten Reichsgründer der Geschichte, geboren. Sie lebte in Sumer, jenem Teil Mesopotamiens, der im heutigen Irak und Syrien liegt. Mesopotamien gilt als Wiege der Zivilisation: Hier wurden das Rad oder die oben erwähnte Keilschrift erfunden, erste Städte entstanden – kurz: eine Hochkultur entwickelte sich.

König Sargon setzte seine Tochter als Hohepriesterin in der sumerischen Stadt Ur ein. Als solche verwaltete sie die städtische Getreidelagerung, beaufsichtigte Tempelarbeiter, deutete Träume und stand Ritualen vor.

Die Macht der Worte

Nach dem Tod ihres Vaters nutzte General Lugal-Ane die Chance und bereitete einen Putsch vor. Der General wollte, dass Enheduanna ihn dabei unterstützte. Doch sie weigerte sich, bei diesem Machtspiel mitzumachen. Daraufhin wurde sie wortwörtlich in die Wüste geschickt.

Nachdem er (= Dilimbabbar bzw. Lugal-Ane) all seine Wünsche triumphierend erreicht hat, hat er es (= das Urteil) aus dem Tempel hervorkommen lassen. Wie eine Schwalbe hat er mich vom Fenster weggescheucht. Nachdem er dafür gesorgt hat, daß die Leute mein Leben vertilgt haben, läßt du (Innana) zu, daß ich nun zum Dorngestrüpp des Feindlandes gehen muß?

  • Übersetzung aus „Nin-me-ṥara – Mythen als argumentative Waffen in einem rituellen Lied der Hohepriesterin En-ḫedu-Ana“, 2014, S. 64, von Annette Zgoll.

In ihrer Entrüstung über ihre Vertreibung verfasste Enheduanna einen Hymnus auf die mächtige Göttin Inanna, pries deren göttliche Macht und kriegerische Zerstörungskraft. Schlussendlich kehrte sie als Hohepriesterin zurück. Insgesamt schrieb sie 42 Hymnen, die bekannte und einflussreiche Schriften, wie zum Beispiel das hebräische Alte Testament, die Epen Homers und christliche Loblieder, beeinflussen sollten.

Hintergründe für Enheduanna‘s Erfolg

Es sind wiederkehrende Faktoren, die Frauen in patriarchalischen Strukturen zu Erfolg verhelfen. Dazu zählen sozialer Status, Privileg und Bildung. Auch im Falle Enheduanna’s waren es diese Faktoren, die sie schlussendlich zum ersten Schriftsteller der Menschheitsgeschichte machten.

In Mesopotamien entschied die Herkunftsfamilie über den sozialen Status einer Person und somit über individuelle Möglichkeiten im Leben. Als Tochter eines mächtigen Königs hatte Enheduanna die beste Voraussetzung für eine höhere Laufbahn. Zusätzlich wurde sie von ihrem Vater unterstützt und gefördert. Er war es, der ihr Zugang zu Bildung verschaffte und der sie als Hohepriesterin einsetzte.

All diese Privilegien wurden damals den wenigsten Frauen zuteil. Zugleich zeugen sie davon, dass unabhängig des Geschlechts zu jeder Zeit -auch in patriarchalischen Gesellschaften- Herausragendes möglich war. Allerdings mussten die Begleitumstände bzw. Rahmenbedingungen dazu passen.

Literaturhinweise:

  • Vogel, Helga. 2014. „Enheduanna – erster homme de lettres der Weltliteratur," FemArc Nr. 74, S. 6–13.
  • Zgoll, Annette. 1997. Der Rechtsfall der En-ḫedu-Ana im Lied nin-me-ṥara. Münster: Ugarit-Verlag.
  • Zgoll, Annette. 2014. „Nin-me-ṥara – Mythen als argumentative Waffen in einem rituellen Lied der Hohepriesterin En-ḫedu-Ana“, IN: Bernd Janowski und Daniel Schwemer (Hg.): Weisheitstexte, Mythen und Epen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, S. 55–67.