Entkriminalisierung von Abtreibungen, Enttabuisierung von Sexualität, Aufklärung und Verbreitung von Verhütungsmitteln - Helene Stöcker (1869-1943) beschäftigte sich vor über 100 Jahren mit diesen Themen, die bis heute kontrovers diskutiert werden.
In ihrer Philosophie wurde sie stark von Friedrich Nietzsche beeinflusst. So wurde Nietzsches Werk, das den Ruf hat, frauenfeindlich zu sein, zur Inspirationsquelle für eine der führenden Aktivistinnen und Frauenrechtlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts.
Helene Stöcker wurde 1869 in Elberfeld, heute ein Stadtteil von Wuppertal, geboren. Sie wuchs in einem streng religiösen Elternhaus auf. Dort wurde besonderer Wert auf Sitte, starre Glaubensvorstellungen und absolute Frömmigkeit gelegt. Später stand sie selbst der Religion sehr kritisch gegenüber.
Im damaligen Preußen war Frauen der reguläre Zugang zur Universität verwehrt. Deshalb schrieb sie sich zunächst als Gasthörerin in Berlin ein, was als Frau möglich war. Doch das genügte ihr nicht, sie wollte ein reguläres Universitätsstudium absolvieren. In der Schweiz war dies für Frauen seit 1865 möglich, also bereits vor ihrer Geburt. Sie studierte Philosophie, Literaturgeschichte und Nationalökonomie und promovierte 1901 in Literatur.
Schon vor Beginn ihres Studiums setzte sie sich für die Rechte der Frauen ein. Sie forderte Frauenbildung, Frauenwahlrecht und später eine Sexualreform.
Ihre Ideen hielt sie in ihrer Neuen Ethik fest. Sie warb für das Recht der Frauen auf sexuelle Lust und sexuelle Selbstbestimmung, dafür, dass Frauen frei über ihren eigenen Körper verfügen können. Gleichzeitig kritisierte sie den kirchlichen Liebesbegriff, vor allem wenn Liebe als Laster gedeutet wurde. Sie plädierte auch für die Anerkennung von Lebensgemeinschaften und die Gleichstellung unehelicher Kinder.
Ganz im Gegensatz zum kategorischen Imperativ, dass jeder Mensch als Selbstzweck, nicht als Mittel zu betrachten sei, ist die Frau in der alten Sexualmoral bisher nicht als Mensch, als Seele, als Persönlichkeit gewertet worden, sondern als Sache, als Leib, als Mittel zum Genuss oder Kindergebärerin.
Sie plädierte für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, insbesondere nach Vergewaltigung, bei gesundheitlicher Gefährdung oder wirtschaftlicher Not. Darüber hinaus sprach sie sich für eine frühe Sexualerziehung und einen erleichterten Zugang zu Verhütungsmitteln aus.
Vor dem Ersten Weltkrieg bekannte sie sich zum Pazifismus. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, engagierte sie sich in der Friedensbewegung. Das machte sie zur Zielscheibe der Nationalisten.
Als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, verschlechterte sich ihre Lebenssituation aufgrund ihrer Weltanschauung und ihres Engagements für Fortschritt und Gleichberechtigung. 1933 musste sie wegen ihrer politischen Überzeugung und ihrer jüdischen Herkunft Deutschland verlassen.
Über mehrere Stationen gelangte sie 1941 in die USA. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits schwer herzkrank. Sie starb 1943 in New York.
Literaturhinweise:
.
Verwandte Beiträge: