Norwich im 14. und 15. Jahrhundert. Die Stadt ist nach London die zweitwichtigste Stadt Englands. Sie ist ein Zentrum des Handels und der Landwirtschaft. Auch in religiöser Hinsicht spielt die Stadt eine wichtige Rolle.
Dann erreicht der Schwarze Tod, die Pest, die Stadt. Man schätzt, dass die Hälfte der Bevölkerung daran starb. Weitere Epidemien folgten. In dieser Zeit lebte Juliana von Norwich, eine bedeutende Mystikerin des Mittelalters.
Wir kennen weder ihren Geburtsnamen noch ihre Herkunft oder andere persönliche Hintergründe. Heute ist sie als Juliana von Norwich bekannt, weil sie einen Großteil ihres Lebens in der Kirche St. Julian in Norwich verbrachte.
Sie verstand es, den Menschen in ihrer Not Mut zu machen. Zudem hielt sie ihre Erkenntnisse und Visionen in ihren Schriften fest - als erste Frau in England.
Juliana war 30 Jahre alt, als sie schwer erkrankte. Am 8. Mai 1373 wurde geistlicher Beistand herbeigerufen, sie erhielt die letzte Ölung in Erwartung ihres baldigen Todes.
Dabei wurde ein Kruzifix über das Fußende ihres Bettes gehalten. Als sie es erblickte, so die Überlieferung, begann sie zu erblinden, und ihr ganzer Körper schien wie betäubt. In den folgenden Stunden hatte sie 16 Visionen von Jesus, den sie blutend vor sich sah.
Juliana erholte sich bis zum 13. Mai vollständig von ihrer Krankheit. Kurz darauf begann sie, über ihre Visionen zu schreiben. Das Buch Revelations of Divine Love (dt. Offenbarungen der göttlichen Liebe) ist das älteste Buch in englischer Sprache, das von einer Frau geschrieben wurde. Zwanzig Jahre später veröffentlichte sie eine zweite und detailliertere Fassung ihrer Visionen.
Juliana von Norwich ist dafür bekannt, dass sie ihr Leben eingeschlossen verbrachte. Die meiste Zeit ihres Lebens hielt sie sich in einer Zelle auf, wahrscheinlich in der Kirche St. Julian in Norwich.
Im Mittelalter war ein solcher Lebensstil hoch angesehen. Das Leben war ausschließlich dem Gebet und der Askese gewidmet, eine extreme Form der Abkehr von allen weltlichen Dingen. Juliana war wohl auch deshalb als geistliche Autorität in ihrer Kirchengemeinde bekannt, in der sie auch als Ratgeberin tätig war.
Sie nannte Christus eine Frau und Mutter, die sich um die Menschen kümmert und für ihre Schützlinge leidet. Auch die Sünde hielt sie für Menschen notwendig.
Berühmt wurde sie auch für ihren Ausspruch “Alles wird gut”. Diese Aussage, die Krankheit, Tod und jede Form von Unglück einschließt, soll Hoffnung und Zuversicht geben, weil sie selbst in ihrem Glauben etwas gefunden hat, das das irdische Chaos und auch jede Vergänglichkeit übersteigt.
Ihre Schriften, die revolutionär klingen, wenn sie schreibt, Jesus sei mütterlich, sind erhalten geblieben. Sie wurden zum Teil unter Lebensgefahr abgeschrieben und aufbewahrt, bis sie wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten.
Literaturhinweise:
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