Auch wenn es in weiten Kreisen vehement bestritten wird, kann Vernunft heute durchaus mit wirtschaftlichen Interessen gleichgesetzt werden. Dies erkannte auch die spanische Philosophin, Aktivistin und Schriftstellerin María Zambrano (1904-1991).
María Zambrano dachte den Begriff der Vernunft neu. Sie wandte sich von einer patriarchalisch geprägten Vernunft ab, die in wirtschaftlichen Interessen gipfelt und dabei das Sein des Menschen vernachlässigt.
María Zambrano wuchs in Spanien auf und studierte dort Philosophie. Als 1936 der Bürgerkrieg ausbrach, war sie Gründungsmitglied der “Alianza de Intelecutales Antifascistas”. In dieser Zeit schrieb sie über die Rolle der Intellektuellen im Kampf gegen den Faschismus. Als 1939 das Franco-Regime siegte, musste sie fliehen. Es begann ein Leben im Exil, das fünf Jahrzehnte dauern sollte.
Frankreich, Kuba, Mexiko, Puerto Rico, Italien und die Schweiz waren die Länder, in denen sie in dieser Zeit lebte. Die Erfahrung, im Exil leben zu müssen, brachte sie ihrer Philosophie näher, dass das ganze Leben ein Exil sei.
Denn in der modernen Kultur sei der Mensch auf der Flucht vor einer Vernunft, einer Vernunft, die ihn mit seinem Ursprung verbindet. Durch das Exil - real oder metaphorisch - erfährt der Mensch einen Ich-Verlust, eine Existenzverneinung und fühlt sich infolgedessen in seinem Sein ortlos, nicht verortbar.
Wenn nun, anders als in der abendländischen philosophischen Tradition, eine poetische Vernunft hinzukommt, wenn also Herz und Seele einbezogen und nicht übergangen werden, wenn über Liebe und Tod philosophiert wird, dann geschieht ein Blick des Herzens. Dann wird das Sein zum Ergreifen des Lichts.
Vielleicht ruft ein Vogel und lädt ein, den Weg zu gehen, den seine Stimme anzeigt. Und man folgt ihr; dann findet man nichts, nichts außer einem unberührten Ort, der sich in diesem einzigen Augenblick geöffnet zu haben scheint und der sich niemals wieder so darbieten wird. Man darf ihn nicht suchen. Man darf nicht suchen. Das lehren die Waldlichtungen auf der Stelle: man darf sich nicht aufmachen, sie zu suchen und auch nicht, in ihnen etwas zu suchen. Nichts Bestimmtes, Vorgeformtes, Bekanntes.
Ferner soll der Mensch sich die Zeit zurückholen, sie zurückgewinnen. Schließlich ist die Zeit der Ort, IN dem der Mensch lebt.
In der Poesie sah sie einen besonderen Zugang zur Erkenntnis. Seelenleben, Traum, Wahn usw. waren wichtige Bestandteile ihrer Philosophie.
María Zambrano schrieb zahlreiche Aufsätze, aber auch Bücher. Zentrale Werke ihres Denkens sind Der Verfall Europas (Original: La agonía de Europa) und Waldlichtungen (Original: Claros del bosque).
Das Buch Der Verfall Europas erschien 1945. Nach zwei Weltkriegen, die in Europa ihren Anfang nahmen, versucht sie in diesem Werk, diese weltpolitische Katastrophe zu analysieren. Sie beschäftigt sich mit der Frage des Menschseins, nach dem Sein in Europa angesichts der beiden Weltkriege. Ausgehend davon wirft sie einen Blick zurück auf die abendländische Kultur und reflektiert über den europäischen Menschen.
Für Waldlichtungen erhielt sie 1988 den Cervantes-Literaturpreis, den wichtigsten spanischen Literaturpreis. In diesem Werk begibt sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, die für sie nicht durch logische Erkenntnis zu finden ist.
Und wenn er sich in dieser Suche verliert, kann es ihm geschehen, daß er vielleicht einen geheimen Ort in der Tiefe entdeckt, der die verwundete Liebe aufnimmt, die immer verwundet ist, wenn sie sich aufmacht, um sich zu sammeln.
Diese Sehnsucht nach Wahrheit, nach der Erfahrung des Seins, spiegelt sie in der Natur. María Zambrano sucht einen Weg durch den dichten Wald, einen Wald des Nichtwissens, hin zu einer Lichtung, die zunächst völlig verborgen ist. Die Waldlichtungen symbolisieren somit den Beginn eines neuen Erkenntnisweges zu dem, was verloren scheint und gleichzeitig den Ursprung des Seins darstellt.
Literaturhinweise: