Pionierinnen

Keine halben Sachen

Keine halben Sachen

Maria Sibylla Merian (1647-1717) liebte die Natur. Sie staunte, beobachtete und hielt ihre Entdeckungen in Zeichnungen fest. Doch das musste heimlich geschehen, denn es ziemte sich nicht für ein junges Mädchen, sich solchen unweiblichen Beschäftigungen hinzugeben, wie ihre Mutter fand.

Weibliches Rollenbild im Barock

Dies entsprach dem damaligen Rollenverständnis. Die Mädchen sollten auf ihre zukünftige Rolle als Köchin und Sklavin des Mannes vorbereitet werden. Eine Frau hatte nach herrschender Auffassung ihre eigene Subjektivität zu verleugnen, sich dem Mann völlig unterzuordnen und sich ihm zugehörig zu fühlen.

Schließlich galt die Frau als halbes Wesen, schwach in allen Bereichen, vor allem aber in ihrem Willen. Frauen, die aus diesem Rollenbild ausbrachen und versuchten, ihren eigenen Weg zu finden, mussten damit rechnen, dass ihnen jeder noch so kleine Fehler als Strafe dafür angelastet wurde, dass sie es gewagt hatten, etwas anderes als die untergeordnete Rolle einzunehmen. Die Anforderungen an Frauen waren also ungleich höher.

Einmalige Chance und Privileg

Maria Sibylla Merian gehörte zu den privilegierten Frauen, deren Talent gefördert wurde. Ihr Stiefvater entdeckte ihre heimlichen Zeichnungen, erkannte ihre Begabung und ermöglichte ihr eine Ausbildung.

Von da an arbeitete Merian unermüdlich, immer auf peinliche Genauigkeit bedacht. Sie fürchtete, Fehler könnten ihre Mutter dazu veranlassen, sie in das traditionelle Leben einer Frau zurückzudrängen und ihr den Unterricht zu streichen.

Beobachten, Blick schärfen, umsetzen

Maria Sibylla Merian verbrachte viel Zeit in der Natur. Sie beobachtete, schärfte ihren Blick und setzte die neuen Erkenntnisse in ihren Werken um.

Auch ihrer gesellschaftlichen Pflicht, eine Familie zu gründen, kam sie nach. Sie heiratete den Maler Johann Andreas Graff (1636-1701) und gebar ihm zwei Töchter. Dennoch gab sie weder ihre Studien noch die Malerei auf. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter gründete sie eine Malschule für Töchter aus wohlhabenden Patrizierfamilien und übernahm Auftragsarbeiten.

Das Blumenbuch & Raupenforschung

1675 erschien ihr erstes Buch, das Neue Blumenbuch. Es war der erste Teil eines insgesamt dreibändigen Werkes, das zunächst als Vorlage für Stickereien und Handarbeiten für Damen diente. Völlig neu an diesem Buch waren die detail- und naturgetreuen Zeichnungen, die im Gegensatz zur sonst üblichen barocken Überladenheit natürlich wirkten.

Es folgte eine weitere Serie über die Raupenforschung, Die Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung. Der erste Band erschien 1679, zwei weitere folgten. Damals hatten nur wenige Schmetterlinge einen Namen und man wusste nicht, aus welcher Raupe welcher Schmetterling schlüpfte oder wie er sich ernährte.

Maria Sibylla Merian hatte jahrelang Raupen erforscht und zum Teil selbst gezüchtet. Sie beschrieb die Metamorphose so detailliert wie noch niemand vor ihr. Natürliche Gegebenheiten erklärte sie anschaulich. Das erregte Aufsehen unter den Herren der Wissenschaft.

Ungewöhnlich an diesem Werk war auch, dass sie es entgegen den damaligen Gepflogenheiten in deutscher Sprache verfasste. Bücher waren in der Regel in Latein geschrieben und konnten normalerweise nur von gebildeten Männern gelesen werden.

Neue Wege

Nach etwa 20 Jahren Ehe trennte sie sich von ihrem Mann und schloss sich mit ihren beiden Töchtern und ihrer Mutter einer Sekte in Westfriesland an. Nach dem Tod der Mutter verließ sie die Sekte und zog mit ihren Töchtern weiter nach Amsterdam, wo sie eine Malwerkstatt eröffnete.

Schon damals träumte sie davon, in Surinam, einer niederländischen Kolonie nördlich von Brasilien, Schmetterlinge zu studieren. Für diese Reise sparte sie fleißig, bis sie 1699 endlich genug Geld beisammen hatte und mit ihrer jüngsten Tochter zu einer Forschungsreise nach Südamerika aufbrach. Erneut brach sie mit gesellschaftlichen Konventionen und reiste mit ihrer Tochter allein und ohne männliche Begleitung.

Bewunderung, Vergessenheit, Wiederentdeckung

Maria Sibylla Merian wurde auch nach ihrem Tod für ihre künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen bewundert. Verschiedene Tier- und Pflanzenarten wurden in Anerkennung ihrer Leistungen nach ihr benannt. Ihre Werke wurden gelesen und neu aufgelegt, aber die Qualität der Drucke ließ allmählich nach.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden ihre Entdeckungen kritisiert und sie geriet allmählich in Vergessenheit. Erst in den 1940er Jahren wurde sie wiederentdeckt. Seither werden Schulen, Straßen und Schiffe nach ihr benannt.

Literaturhinweise:

  • Beuys, Barbara. 2016. Maria Sibylla Merian. Künstlerin - Forscherin - Geschäftsfrau. Berlin: Insel Verlag.
  • Reitsma, Ella. & Sandrine. A. Ulenberg. 2008. Maria Sibylla Merian & Daughters: Women of Art and Science. Rembrandt House Museum.
  • Todd, Kim. 2007. Chrysalis: Maria Sibylla Merian and the Secrets of Metamorphosis. Harcourt.