Frauenrollen Philosophie

Mit dem Buch in den Tod

Mit dem Buch in den Tod

Vor über 700 Jahren trat Marguerite Porete mit ihrer Auslegung der christlichen Lehre und ihrer Kritik an der Kirche den Kirchenvätern auf den Schlips beziehungsweise auf ihren Habit und wurde verbrannt.

Frankreich im Spätmittelalter: Die christlichen Laienorden der Beginen (männliche Form: Begarden) erlebten ihre Blüte. Sie verpflichteten sich zu Armut und Keuschheit, führten ein asketisches Leben, waren aber Laien.

Beginen: Autonomes Lebensmodel für Frauen

Für Frauen war diese Lebensform eine Alternative zu einer Heirat und dem Nonnentum. Dadurch waren sie weder einem Ehemann noch einem Kirchenvater direkt unterstellt. Beginen lebten größtenteils autonom, bestimmten selbst über sich.

In Städten übernahmen sie wichtige Aufgaben, wie etwa Pflegedienste, Kirchendienste oder Bildung von Mädchen. Auch waren sie handwerklich tätig, brauten Bier oder waren im Textilgewerbe tätig. All diese Aktivitäten fanden außerhalb des langen Armes der Kirche statt. Hinzu kam, dass Beginen für ihr eigenständiges, religiöses Denken bekannt waren. Der Kirche waren sie suspekt.

Die Begine Marguerite Porete & ihre Spiegelliteratur

Eine der wohl bekanntesten unter ihnen war Marguerite Porete (ca. 1250-1310). Gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts schrieb sie ihr Hauptwerk Spiegel der einfachen Seelen. Nicht nur, dass sie als Frau publizierte, auch trug sie Passagen aus ihrem Werk in der Öffentlichkeit vor. Das gehörte sich nicht für eine Frau! - fand jedenfalls die Kirche.

Porete verstand ihre Auslegung der christlichen Lehre als Befreiung der Seele vor jeder Abhängigkeit. Durch Erkenntnis und Liebe wäre diese Art der inneren Freiheit zu erlangen. Mit ihrem Spiegel bzw. ihrer Schrift erregte Porete großes Aufsehen.

Verirrte, zugrundegegangene und zunichtegewordene Menschen

Die Spiegelliteratur war eine eigene Textgattung. Der Leser sollte sich darin spiegeln können und somit belehrt werden. Porete schrieb ihr Werk in Dialogform. Stark religiöse Menschen wurden als verirrte, zugrundegegangene oder zunichtegewordene Personen beschrieben. Im Gegensatz dazu standen die gewöhnlichen Menschen.

Verirrte streben nach Gott, haben es aber noch nicht geschafft, den Eigenwillen abzulegen. Zugrundegegangene beschränken sich darauf, Gebote oder Verbote einzuhalten, sich auf äußerliche Aktivitäten zu konzentrieren. Zunichtegewordene sind frei, haben den Eigenwillen überwunden.

Poretes Werk richtete sich hauptsächich an Verirrte und Zunichtegewordene. Ihnen galt es aufzuzeigen, wie ihre Seele in einen ursprünglichen Zustand, bevor sie von Gott getrennt wurde, zurückkehren könnte.

Kirchenkritik: Kirche der Herzen vs. Institution Kirche

Dabei stellte sie die Kirche der Herzen der Institution Kirche gegenüber. Sie bezeichnete die offizielle, institutionelle Kirche als kleine Kirche. In der kleinen Kirche wird Gottesfurcht gepredigt, was laut Porete ein Hindernis auf dem Weg der Freiheit einer Seele darstellt. Die Kirche der Herzen hingegen war für sie die große Kirche.

Das stand im Gegenzug zur gängigen, kirchlichen Meinung. Die Kirchenväter fanden das ganz und gar nicht amüsant, stellten sie vor Gericht. Schlussendlich wurde Marguerite Porete mit ihrem Buch in ihren Händen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Kurze Zeit nach ihrer Hinrichtung wurde das Beginentum von der Kirche verboten. Schließlich waren eigenständig denkende und handelnde Frauen unerwünscht.

Eigenständig denkende und handelnde Frauen? Unerwünscht!

Marguerite Porete war bis zum Schluss von ihrem Werk und ihrem Handeln überzeugt. Von den patriarchalischen Formen und Instrumenten der Kirche ließ sie sich nicht beeindrucken. Sie war mutig und kritisierte die Institution Kirche. Sie wagte es, als Frau in der Öffentlichkeit zu predigen und die Kirche zu hinterfragen.

Literaturhinweise:

  • Porete, Marguerite. 2014. Marguerite Porete: Textauswahl und Kommentar von Gerhard Wehr. Wiesbaden: marixverlag.
  • Ruh, Kurt. 1993. Geschichte der abendländischen Mystik Bd. II: Frauenmystik und Franziskanische Mystik der Frühzeit. München: C.H.Beck.