Frauenrollen

Die Riesin aus Südtirol

Die Riesin aus Südtirol

Was, wenn sich der Körper anders entwickelt, als bei anderen Menschen? Wenn sich herausstellt, dass man selbst nicht ganz “normal” ist? - Was auch immer das im jeweiligen Kontext sein mag … Und dabei denke ich nicht an vermeintliche Schönheitsfehler, seien es schiefe Nasen, krumme Beine, Speckröllchen oder was in unserer Gesellschaft sonst noch unnötigerweise als Makel definiert wird. Nein, ich spreche von Menschen, deren Körper anders gewachsen sind, wie der der Südtiroler Riesin Maria Fassnauer.

Monster oder Naturwunder? - wenn Grenzen verwischen

Angestarrt werden, spöttische Kommentare, sich bekreuzigende Nachbarn, Menschen, die einem lieber aus dem Weg gehen - all das musste Maria Fassnauer schon als Kind ertragen lernen. Dabei fing alles ganz normal an. Sie wurde 1879 als erstes von sechs Kindern auf dem Staudnerhof im Ridnauntal geboren. Die Familie lebte, wie viele Familien damals in Südtirol, in sehr bescheidenen Verhältnissen - ganz normal eben.

Doch dann wuchs Moidl, wie Maria Fassnauer genannt wurde, immer schneller. Immer wieder mussten Kleider umgenäht werden, immer wieder war man auf Kleiderspenden angewiesen. Im ersten Schuljahr musste eigens eine größere Bank angeschafft werden, damit Maria Fassnauer in der kleinen Klasse überhaupt Platz fand.

Auf dem elterlichen Hof arbeitete sie schon als Kind hart. Sie war kräftig und zuverlässig, hütete die Ziegen, melkte die Kühe und half, wo immer sie gebraucht wurde.

Maria Fassnauer wurde etwa 2,27 Meter groß (andere Angaben schwanken zwischen 2,17 und 2,40 Meter), wog um die 172 Kilogramm und trug Schuhgröße 56. Kein Wunder, dass sie ständig angestarrt wurde, ein durchschnittlicher Mann war damals etwa 1,70 Meter groß.

Prozession mit einem riesigen Bett

Der Tourismus nahm damals seinen Anfang und die ersten Menschen kamen, um sich die Riesin anzusehen. Den Touristen war es auch zu verdanken, dass Maria Fassnauer ein Bett in ihrer Größe erhielt. Als das Bett zum Hof geliefert wurde, wurde es von einer Menschenprozession begleitet. Schließlich hatte noch keiner zuvor ein Bett dieser Größe zu Gesicht bekommen.

In dieser Zeit erhielten die Eltern auch die ersten Angebote, Maria Fassnauer als Schaustellerin in die Welt zu schicken. Dafür wurde ihnen eine beträchtliche Summe geboten. Trotz der Not entschieden sie sich lange dagegen.

Von der Bauerntochter zum Monster für Millionen

Doch dann wurde aus Moidl Mariedl, die Riesin aus Tirol, die auf Jahrmärkten und Ausstellungen zu bewundern war. Wien, Berlin, Hamburg, London, Manchester, Brüssel - sie wurde schnell zur Attraktion. Das Geld, das sie dabei verdiente, schickte sie größtenteils an ihre Familie, um sie zu unterstützen.

Aber genau darin liegt auch die Ambivalenz des Schaustellergewerbes. Einerseits hatten die Schausteller eine Einnahmequelle. Andererseits hatte die Zurschaustellung von außergewöhnlichen Körpern eine versklavende und erniedrigende Komponente. Man darf nicht vergessen, dass man sich dafür gewissermaßen entblößen musste, indem man als Freak und Abnormität angestarrt wurde.

Die Popularität von zur Schau gestellten Abnormitäten, von Menschen, die anders sind, offenbart eine sehr eng gedachte und gelebte Vorstellung von Schönheit, von Idealen und damit auch von Identität. Es bleibt die Frage, ob diejenigen, die eine solche Form der Andersartigkeit betrachten, nicht die größeren Freaks sind als diejenigen, die zur Schau gestellt werden.

Diese Grenzziehung zwischen dem Normalen und dem Anormalen, zwischen Insidern und Outsidern, ist alltäglich zu beobachten, unabhängig davon, ob sich das Anderssein in Form von Körperform, Hautfarbe, Sexualität, Religion, Sprache usw. ausdrückt. Dabei scheint es immer noch leichter zu sein, einen Menschen aufgrund seiner Andersartigkeit mit Abscheu zu betrachten, als ihn mit Respekt zu akzeptieren.

Abschiede

1913 gab Maria Fassnauer ihre Rolle als “Monster für Millionen” auf und kehrte auf den elterlichen Hof im Ridnauntal zurück. Gesundheitlich und seelisch war sie jedoch angeschlagen, die Jahre als Schaustellerin hatten ihre Spuren hinterlassen. 1917 starb sie, nur drei Wochen später folgte ihr ihre Mutter.

Literaturhinweise:

  • Ferrarese, Lorenzo. 2017. Die Riesin von Triol. Edizioni alpha beta Verlag.
  • Schneider, Samantha & Inga Hosp. 2001. Die Riesin von Ridnaun. Abnormitäten, Kuriositäten, Schaustellungen. Edition Raetia.