Pionierinnen Philosophie

Der eigene Weg

Der eigene Weg

Rebellin, Philosophin, Schriftstellerin & Psychoanalytikerin – Lou Andreas-Salomé verzauberte Nietzsche, Rilke und Freud, behauptete sich in deren Fachbereichen.

                 Warst mir die mütterlichste der Frauen,  
                 ein Freund warst Du, wie Männer sind,  
                 ein Weib, so warst Du anzuschauen,  
                 und öfter noch warst Du ein Kind.  
                 Du warst das Zarteste, das mir begegnet,   
                 das Härteste warst Du, damit ich rang.   
                 Du warst das Hohe, das mich gesegnet –   
                 und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.  
  • Rainer Maria Rilke über Lou Salomé. In: Rainer Maria Rilke und Lou Andreas Salomé. Auf welches Instrument sind wir gespannt, 2005, S. 115, von Rolf S. Günther.

Lou (Louise) Andreas-Salomé (1861–1937) wusste bereits in jungen Jahren, was sie wollte und wie sie das durchsetzen konnte. Auf keinen Fall wollte sie, wie eigentlich vorgesehen, jung heiraten. Sie bevorzugte es, sich mit Studien zu beschäftigen.

Geschwisterhirn

Den wichtigsten Grundstein in Sachen Bildung legte Pastor Hendrik Gillot (1836–1916), mit dem sie Texte unterschiedlicher Philosophen las. Durch ihn kam sie mit ihrem späteren Lieblingsdenker, Spinoza (1632–1677), und seiner Theorie, dass weise Menschen über das Leben und nicht über den Tod nachdenken, in Berührung.

Sie studierte unter anderem Theologie und Philosophie in Zürich, musste das Studium jedoch aus Gesundheitsgründen vorzeitig abbrechen. Kurze Zeit später lernte sie zwei Philosophen kennen: Paul Rée (1849–1901) und Friedrich Nietzsche (1844–1900). Nietzsche verliebte sich in Lou, nannte sie Geschwisterhirn und intelligenteste aller Frauen. Für ihn war sie die erste Person, die er für würdig hielt, in seine Philosophie einzuführen. Auch Paul Rée verliebte sich in Lou Salomé. Beiden Verehrern gab sie einen Korb.

Frau mit Peitsche

Ein bekanntes Foto zeigt eine Inszenierung: Lou Salomé mit einer Peitsche auf einem Karren, der von Rée und Nietzsche gezogen wird. Kurze Zeit später legte Nietzsche in seinem Werk Also sprach Zarathustra einer alten Frau die Worte „Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“ in den Mund. Nach dem Tod Nietzsches schrieb Lou Andreas-Salomé ein Buch über ihn:

Dann zeigt es sich, dass die Theorien Nietzsches alle aus dem Bedürfniss der eigenen Selbsterlösung geflossen sind, – aus dem Sehnen, seiner tief bewegten und leidvollen Innerlichkeit jenen Halt zu geben, den der Gläubige in seinem Gott besitzt.

  • In: Friedrich Nietzsche in seinen Werken, 1911, S. 213, von Lou Andreas-Salomé.
Ihre Philosophie

Lou Andreas-Salomé war eine Vertreterin des Ich-Prinzips und eine Verfechterin der Freiheit. Aus diesen Perspektiven ist ihr philosophisches Interesse zu verstehen, das vor allem Religion (Moral) und die Philosophie der Frau (Liebe, Sexualität, Mutterschaft) umfasste.

Meine früheste Kindheitserinnerung ist mein Umgang mit Gott.

  • In: Gottesschöpfung, 1892, S. 169, von Lou Andreas-Salomé.

Lou selbst hatte sich bereits in ihrer Jugend der Religion abgewandt. Sie sprach von einem erschütternden Gottesverlust, der sie zeitlebens beeinflussen sollte. Diesen Schwund des Gottesglaubens verarbeitete sie in ihrem ersten Roman, Im Kampf um Gott (1885).

Der eigene Weg

Lou Salomé wollte ein freies und selbstbestimmtes Leben führen. Zahlreiche Heiratsanträge schlug sie ab, wollte sich lieber ihren Studien und ihrer Selbstentfaltung widmen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sie in keinster Weise für die Emanzipation der Frauen im Allgemeinen eintrat. Vielmehr genoss sie ihre Rolle und Position, die sie als Frau allein innerhalb von Männern einnahm.

Die Kritik von Feministinnen ließ dabei nicht lange auf sich warten. Dennoch ging sie weiterhin ihren eigenen Weg zwischen den beiden Welten: zwischen bestehenden Gesellschaftsnormen und der Frauenbewegung.

Und so steht sie [= eine Frau] alle Augenblicke vor der irreführenden Wahl, entweder selbst dergleichen zu glauben, und ihr letztes Heil in einer partiellen Berufsentwicklung nach außen hin zu suchen, oder aber sich resignirt als bloßes Anhängsel des Mannes zu bescheiden, das sich freiwillig zu einem bloßen Mittel für dessen Selbstherrlichkeit macht. Ich nenne diese beiden Zeitgegensätze, die mir ganz gleichmäßig unweiblich scheinen, d.h. ganz gleichmäßig disharmonisch […].

  • In: Der Mensch als Weib. Ein Bild im Umriß, 1899, von Lou Andreas-Salomé.

Lou Salomé heiratete im Jahre 1886 den Orientalisten Friedrich Andreas (1846–1930). Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Ehe nie geschlechtlich vollzogen werden würde. Eine Liebesbeziehung ging sie mit dem jüngeren Rainer Maria Rilke (1875–1926) ein. Anfangs korrigierte sie seine Gedichte und motivierte ihn, an seiner Sprache zu arbeiten. Nach dem Tod Rilkes brachte Lou Salomé ein Buch über ihn heraus.

Freudianerin

Später ging sie nach Wien, um bei Sigmund Freud (1856–1939) seine Psychoanalyse zu erlernen. Sie wurde zur erfolgreichen Psychoanalytikerin – eine der ersten Frauen in diesem Fachbereich. Eine eigene Praxis betrieb sie zuerst in Göttingen, dann in Königsberg.

Anlässlich Freuds 75. Geburtstags verfasste sie eine Dankschrift. „Es ist das Schönste, was ich von Ihnen gelesen habe, ein unfreiwilliger Beweis Ihrer Überlegenheit über uns alle,“ antwortete er darauf.

Nach ihrem Tod wurde ihre Bibliothek von der Gestapo beschlagnahmt. Schließlich hatte sie sich mit einer jüdischen Wissenschaft, der Psychoanalyse, beschäftigt, und war somit nicht salonfähig im Dritten Reich.

Literaturhinweis:

  • Decker, Kerstin. 2010. Lou Andreas-Salomé. Der bittersüße Funke Ich. Berlin: Propyläen.