Philosophie

Raum für Schweigen

Raum für Schweigen

Sarah Kofman (1934-1994) wurde als Kind einer jüdischen Familie in Paris geboren. Die ersten Jahre ihrer Kindheit waren noch relativ unbeschwert, doch als ihr Vater von den Nationalsozialisten deportiert und schließlich in Auschwitz ermordet wurde, änderte sich das für die Familie schlagartig.

Hin- und Hergerissen

Sarah Kofman und ihre Geschwister wurden daraufhin in der Normandie versteckt. Doch die Trennung von ihrer Mutter machte ihr zu schaffen. Zurück in Paris überlebte sie, weil sich eine Nachbarin ihrer annahm. Zu ihr entwickelte sie eine sehr enge Beziehung und wurde auch in christliche Traditionen eingeführt. Das wiederum missfiel ihrer Mutter, die sie erneut ihrer Umgebung entriss. Dieses Herausgerissenwerden, dieses Hin und Her prägte sie und sollte sie noch lange begleiten.

Diese Erfahrungen prägten auch ihre Philosophie. Die Zerrissenheit zwischen der leiblichen Mutter und der Nachbarin, die wie eine Ziehmutter war, führte zu einem ständigen Hin- und Hergerissensein zwischen den beiden Mutterfiguren, aber auch zwischen Judentum und Christentum.

Liebe zur Philosophie

Sarah Kofman war ein wissbegieriges Mädchen, das sich früh für Philosophie interessierte. An der Sorbonne studierte sie Philosophie, unter anderem unter Derrida. Sie arbeitete als Professorin an verschiedenen Institutionen in Frankreich, legte auch mehrere Auslandsaufenthalte ein und erhielt Gastprofessuren außerhalb Frankreichs.

Bestimmte Themen haben sie immer wieder zum Nachdenken angeregt, wie z.B. die Kunst, die Psychoanalyse oder auch die Geschichte der Philosophie, die immer männlich dominiert war. So hat sie sich mit Meistern wie Platon, Descartes, Kant, Rousseau, Comte, Nietzsche und Derrida auseinandergesetzt.

Sie beschäftigte sich auch mit feministischen Fragestellungen, stellte sich beispielsweise die Frage, wie “das Rätsel Frau in den Texten von Freud” behandelt wurde. Oder sie untersuchte, wie Kant den Begriff der Achtung verwendete, insbesondere in Bezug auf Frauen und Geschlechterunterschiede.

Quälende Themen

Doch ihre ganze Arbeit schien immer wieder um die Aufarbeitung der eigenen Herkunft und Geschichte zu kreisen.

Über Auschwitz und nach Auschwitz ist keine Erzählung möglich, wenn man unter Erzählung versteht: eine Geschichte von Ereignissen erzählen, die Sinn ergeben.

  • Sarah Kofman, Erstickte Worte, 1988, S.31.

Vor allem stellte sie sich die Frage, ob es nach Ausschwitz überhaupt noch möglich sei, zu schreiben und zu erzählen. Es war ein Teil ihres Kindheitstraumas, das sie auf diese Weise zu überwinden versuchte.

Man muß versuchen, beim Schreiben Raum für das Schweigen derer zu lassen, die nicht sprechen konnten: Das ist ein Schreiben ›ohne Macht‹.

  • Sarah Kofman, Interview in Die Philosophin.

Sie schrieb auch autobiographisch über ihre Kindheit, die Deportation ihres Vaters, all die Probleme und einschneidenden Erlebnisse, die sie ihr Leben lang nicht mehr losließen.

Diese Schriften wurden unter dem Titel Rue Ordener, Rue Labat veröffentlicht. Darin verarbeitete sie ihre Kindheit im Paris der 1930er und 1940er Jahre und sie schrieb darüber, wie sie in dieser Zeit lernte bzw. lernen musste, ihre jüdische Identität zu vergessen. Kurz nach Erscheinen ihres Buches, am 150. Geburtstag Nietzsches, nahm sie sich das Leben.

Literaturhinweise:

  • DeArmitt, Pleshette und Tina Chanter (Hrsg.). 2008. Sarah Kofman’s Corpus. State University of New York Press.
  • Feyertag, Karoline. 2014. Sarah Kofman: eine Biographie. Turia + Kant.
  • Kofman, Sarah. 1988. Erstickte Worte. Passagen-Verlag.
  • Kofman, Sarah. 1986. Rousseau und die Frauen. Konkursbuchverl. Gehrke.
  • Kofman, Sarah und Nicola Fisher. 1982. The Economy of Respect: Kant and Respect for Women, Social Research 49.2, S. 383–404.
  • Oliver, Kelly und Penelope Deutscher (Hrsg.). 1999. Enigmas: Essays on Sarah Kofman. Cornell University Press.