Sie galt als mächtig, erfolgreich, mannsgleich - so wie eine erfolgreiche Frau in der Antike eben beschrieben wurde. Semiramis war eine altorientalische assyrische Kriegs- und Bauherrin. In den Quellen wird sie aber vor allem mit ihrer weiblichen Sexualität und ihrer angeblichen Wollust in Verbindung gebracht.
Bereits in der Antike wurde der Name Semiramis als Metapher verwendet: Der Name Semiramis war sowohl eine Anspielung auf eine politische Herrschaft der Frauen als auch auf eine als lüstern und böse empfundene weibliche Sexualität.
Semiramis ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Wahrnehmung und historische Einordnung von Persönlichkeiten im Laufe der Zeit veränderte. Insgesamt irritierte Semiramis ihre Zeitgenossen. Ihre Darstellung diente daher oft auch der Einordnung und Beschreibung der mesopotamischen Kultur durch Außenstehende.
Feministische Historikerinnen sehen in der Darstellung außergewöhnlicher Frauen ein Phänomen der männlich dominierten Geschichtsschreibung. Diese patriarchale Selektion, d.h. die Entscheidung darüber, welcher Typ Frau erwähnenswert sei, habe nur jene Frauen für würdig befunden, die genau das taten, was normalerweise Männer taten. Außergewöhnliche Frauen stellten somit lediglich eine Ausnahme von der Norm dar und bestätigten diese.
Auch bei Semiramis ist das überliefert, was als männlich definiert werden kann. Sie überschritt gesellschaftlich festgelegte Grenzen für Frauen. Auffällig ist, dass bei solchen Frauen meist die sexuelle Komponente im Vordergrund steht, so auch bei Semiramis.
Obwohl sie bereits von den alten Griechen thematisiert wurde, ist vor allem das Bild interessant, das im abendländischen Mittelalter von ihr gezeichnet wurde. Dort erscheint sie als eine Frau mit vielen sexuellen Lastern. Ihre Sexualität gleicht der eines mächtigen Mannes, der sich seinen Begierden hingibt.
Die Beschreibung gipfelt in dem Vorwurf, sie habe eine inzestuöse Beziehung zu ihrem Sohn gehabt und ihn entmannt. Der Sohn wird zum Opfer seiner lüsternen Mutter stilisiert. Semiramis wird nicht nur des Machtmissbrauchs, sondern implizit auch des unweiblichen Verhaltens als Frau und Mutter für schuldig befunden.
Die mittelalterliche Semiramis diente somit als heidnisches Antimodell für christliche Frauen, insbesondere für Königinnen und Regentinnen, von denen sich viele besonders bemühten, den Idealen christlicher Weiblichkeit zu entsprechen. Dennoch führte auch hier die Herrschaft einer Frau oft zu unbegründeten Gerüchten über ihr unangemessenes Sexualverhalten.
Ein Text, der dies verdeutlicht, ist Boccaccios (1313-75) De mulieribus claris, ein Bestseller, der 106 Biographien klassischer Frauen enthält. Semiramis steht an zweiter Stelle, gleich nach der biblischen Eva. Leistungen und Talente werden erwähnt, aber auch hier fällt die Betonung der weiblichen Sexualität auf.
Die Ambivalenz von Boccaccios Text wird auch in einigen Illustrationen deutlich. In einer deutschen Ausgabe von 1473 ist Semiramis gleich dreimal in einem Bild zu sehen: im Bett mit ihrem Sohn Ninias, fast nackt in Unterwäsche, begleitet von zwei Hofdamen, ebenfalls in Unterwäsche, aber mit Mantel, und als Statue auf einer Säule in voller Rüstung mit Krone und langem Haar.
Semiramis wurde als eine herausragende historische Persönlichkeit beschrieben. Sie galt als die Frau, die von Babylon aus das Großreich der Assyrer regierte. Auch führte sie erfolgreiche Eroberungskriege.
Insgesamt sind Hinweise auf sie als orientalische Königin jedoch selten. Schon in der Antike stand dies in den Aufzeichnungen weniger im Vordergrund als ihr Geschlecht, ihr Status und ihr Verhalten.
Die Darstellungen und Interpretationen des Semiramis-Themas spiegeln die wechselnden Debatten über Frauen, Macht und weibliche Sexualität sowie den jeweiligen Zeitgeist wider.
Auf der Suche nach antiken Vorbildern fanden Schriftsteller, Maler und Fürsten nur wenige Königinnen, deren Leistungen als Baumeisterin, Kriegerin und politische Herrscherin mit denen der Semiramis vergleichbar waren. Sie galt als historische Premiere und wurde zum Urbild weiblicher Herrschaft und teilweise zum Vorbild für Frauen an der Macht.
Da Diskurse über Frauen und Macht in der Regel auch den Aspekt der Sexualität einschließen, ist dieser auch ein zentrales Thema in neueren wissenschaftlichen Darstellungen der Semiramis. Dort wird sie als Inbegriff der orientalischen Frau mit sexuell exzessivem Verhalten dargestellt.
Literaturhinweise: