Frauenrollen

Frauen stehen ihren Mann

Frauen stehen ihren Mann

Der Kampf galt seit jeher als eine Form der Macht, als eine Demonstration der Stärke des tapferen und mutigen Mannes, als ein Zeichen der Männlichkeit. Deshalb wurden die Sieger als männlich und - im Umkehrschluss - die Verlierer als weiblich und schwach dargestellt. Dadurch wurden sowohl Frauen als auch Männer außerhalb dieses Systems diskriminiert bzw. unterdrückt.

Was passiert aber, wenn eine Frau erfolgreich an diesen männlichen Machtdemonstrationen teilnimmt?

Alleinherrschaft, Intrigen und Rache

Tomyris (6. Jh. v. Chr.) war die Königin der Massageten, eines antiken Reitervolkes, das im Gebiet des Aralsees in Zentralasien siedelte und den Skythen benachbart war. Mit Mut und Entschlossenheit besiegte Tomyris den angreifenden Perserkönig Kyros.

Wie die meisten Reitervölker haben auch die Massageten keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Die ältesten erhaltenen Berichte über Tomyris stammen von dem Griechen Herodot.

Demnach wurde Tomyris nach dem Tod ihres Mannes Alleinherrscherin. Der Perserkönig Kyros wollte das Reich der Massageten seinem eigenen einverleiben. Deshalb hielt er zunächst um die Hand der Tomyris an. Als diese sich weigerte, Kyros zu heiraten, soll Kyros gegen sie in den Krieg gezogen sein.

Dabei griff Kyros zu einer List: Er ließ absichtlich eines seiner Lager in die Hände von Tomyris Heer fallen. Als die Krieger das Lager plünderten, entdeckten sie köstlichen Wein. Betrunken waren sie natürlich leicht zu überwältigen. So geriet auch Tomyris Sohn in persische Gefangenschaft, wo er sich jedoch aus Scham das Leben nahm.

Daraufin besiegte Tomyris Kyros, ließ ihn enthaupten und seinen Kopf in Blut tauchen, damit er endlich von seiner Blutrünstigkeit genug habe.

Reihe von mutigen und starken Frauen

Eine rachsüchtige Frau, die ihren Gegner enthaupten ließ, findet sich auch in der Bibel: Judith. Laut Bibeldarstellung rettete sie ihre Stadt, die von Holofernes belagert wurde, indem sie diesen Heerführer zuerst um den Finger wickelte und anschließend köpfte.

Tomyris steht damit in einer Reihe von Frauen, die der Überlieferung nach ihr Volk verteidigten und gegen ihre (männlichen) Feinde in den Krieg zogen. Dazu gehören neben der biblischen Judith auch die keltische Königin Boudica und die orientalische Herrscherin Zenobia. Sie alle waren starke Frauen, die sich entgegen den vorherrschenden Geschlechternormen nicht einschüchtern ließen und ihren “Mann” standen.

Tomyris in Kunst und Literatur

Vor allem die Szene, in der Tomyris das Haupt des Kyros in Blut taucht, wurde in der Kunst immer wieder aufgegriffen. Bekannte Beispiele sind die Darstellungen von Künstlern wie Rubens oder Mattia Preti.

Dieses Thema wurde auch in der Literatur wiederholt behandelt. Der italienische Dichter Dante Alighieri (1265-1321) griff in seiner Göttlichen Komödie Tomyris auf, wie sie nach der Enthauptung des Perserkönigs Kyros dessen Kopf in Blut stecken ließ:

Man sah dort wie in herbem Hohn und Wut
Tomyris zum erschlagenen Cyrus sprach:
"Blutdürstger, sättige dich nun in Blut!"
  • Auszug aus: Die Göttliche Komödie, Zweiter Teil: Das Fegefeuer, 12. Gesang, von Dante Alighieri (1321), übersetzt von Karl Bartsch, 2010 [1877].

Ein weiterer bekannter Dichter war Giovanni Boccaccio (1313-75), der in seinem Werk De claris mulieribus, das Informationen über 106 Frauen enthält, über Tomyris schrieb. Tomyris verlor ihren größten Schatz, ihren Sohn, dafür verlor ihr Feind sein Leben. Boccaccio betonte den Zorn und die Rachsucht von Tomyris und sogar die Angemessenheit, den Kopf von Kyros in einen Lederbeutel zu stecken, der mit dem Blut ihrer Truppen gefüllt war.

Was bleibt noch zu sagen? Außer dieser Tat, die so berühmt war, wie das Reich des Kyros groß war, wissen wir nichts über Tomyris.

  • Übersetzung aus: Libro Delle Donne Illustri, 1558, S. 58, Tradotto per Messer Giuseppe Betussi, von Giovanni Boccaccio.

Die Geschichte der Tomyris zitierte auch Christine de Pizan (c.1364-1430), der ersten bekannten Frau, die von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit leben konnte, in ihrem feministischen Werk Das Buch von der Stadt der Damen (im Original: Le Livre de la Cité des Dames, 1405). Christine de Pizan erwähnte Tomyris in ihrem ersten Buch und zählte sie zu den Amazonen, die - so de Pizan - durch ihren Mut und ihre kriegerischen Taten bewiesen, dass Stärke nicht nur ein Vorrecht der Männer ist.

Literaturhinweis:

  • Weststeijn, Johan. 2016. “Wine, Women, and Revenge in Near Eastern Historiography: The Tales of Tomyris, Judith, Zenobia, and Jalila,” Journal of Near Eastern Studies, 75.1, S. 91-107.

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