Was für ein Leben! Sie war Supermodel, Muse und surrealistische Künstlerin, Fotografin für die Vogue und Kriegsreporterin, die das Grauen des Zweiten Weltkriegs in ihren Bildern festhielt: Lee Miller (1907-1977).
Doch all ihre Lebenserfahrungen hinterließen tiefe Spuren: Depressionen und Alkoholismus prägten ihre letzten Jahre. Nach ihrem Tod 1977 entdeckte ihr Sohn Antony Penrose auf dem Dachboden einen Schatz an Dokumenten. Bis dahin hatte er keine Ahnung, welches Leben seine Mutter vor seiner Geburt geführt und was sie ihm alles verschwiegen hatte.
Den Umgang mit der Kamera hat sie von klein auf gelernt: Ihr Vater war leidenschaftlicher Hobbyfotograf und sie sein Lieblingsmotiv. Er machte auch Aktfotos von seiner jungen Tochter.
Mit 19 Jahren war sie in New York. Als sie die Straße überqueren wollte, wäre sie beinahe überfahren worden, hätte sie nicht der berühmte Verleger Condé Nast gerettet. Von der Straße weg engagierte er sie. Bald zierte sie die Titelseiten von Vanity Fair und Vogue.
Was damals niemand ahnte: Sie blickte kühl in die Kamera, aber sie kannte bereits tiefe Abgründe in ihrem Leben. Als Siebenjährige war sie von einem Bekannten der Familie, der auf sie aufpassen sollte, vergewaltigt worden.
Doch schon bald wollte sie nicht mehr nur vor, sondern auch hinter der Kamera stehen. Deshalb ging sie nach Paris, um bei dem berühmten surrealistischen Künstler Man Ray Fotografie zu studieren.
Von der Schülerin wurde Lee Miller zur Mitarbeiterin und schließlich für kurze Zeit auch zur Geliebten Man Rays. Während ihrer Zeit in Paris fotografierte sie selbst berühmte Persönlichkeiten wie Pablo Picasso oder Max Ernst.
1932 kehrte sie nach New York zurück, wo sie ein eigenes Fotostudio eröffnete. Der Vogue lieferte sie ein einzigartiges Bild: ein Selbstporträt, so dass sie als Model und Fotografin auf dem Cover zu sehen war.
Später heiratete sie den wohlhabenden ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey. Gemeinsam verbrachten sie einige Jahre in Ägypten, doch die Ehe hielt nicht lange.
Vor allem würde ich versuchen, diese Glocke des Schweigens zu brechen, die sich über mir schließt, sobald es sich um Gefühle handelt.
Schon 1937 kehrte sie nach Paris zurück. Bald lernte sie den britischen Surrealisten Roland Penrose kennen. Gemeinsam gingen sie bei Kriegsausbruch nach London.
Lee Miller war ein rastloser Mensch, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. So ließ sie sich 1944 von der US-Armee als Militärkorrespondentin akkreditieren. Bald war sie mitten im Kriegsgeschehen.
Sie war bei der Befreiung der Konzentrationslager Buchwald und Dachau dabei, hielt das Elend und die Gewalt mit ihrer Kamera fest: Aufgetürmte Leichen und Menschenknochen, verhungerte, erschossene, geschändete Männer und Frauen. Dabei fotografierte sie Opfer und Täter.
Ihre Bilder schickte sie an die Vogue in London. Dazu eine Notiz:
Ich flehe dich an zu glauben, dass dies wahr ist.
Sie fuhr weiter nach München. Dort suchte sie die Wohnung Adolf Hitlers auf. Froh, endlich eine Badewanne zu haben, zog sie sich aus und wusch sich.
Vor der Wanne standen ihre schmutzigen Stiefel, an denen noch der Dreck aus dem Konzentrationslager klebte. So ließ sie sich von ihrem Kollegen Scherman fotografieren.
Das Foto wurde am 30. April 1945 aufgenommen, dem Tag, an dem Hitler Selbstmord beging. Es ist bis heute ihr bekanntestes Foto.
Literaturhinweise: