Pionierinnen

Mathematik war ihr Leben

Mathematik war ihr Leben

Auch heute noch ist der Weg für Frauen in der Wissenschaft steiniger als für Männer. Wer sich für diesen Weg entscheidet, muss Entbehrungen und Durststrecken in Kauf nehmen. Darunter fällt auch, dass Männer nach wie vor als glaubwürdiger gelten und dementsprechend öfter zitiert werden als Frauen. Ein Phänomen, das sich Matilda-Effekt nennt.

Die erste Frau, die in Europa auf eine Professur für Mathematik berufen wurde, wusste genau, was es heißt, diesen entbehrungsreichen Weg bis zum Ende zu gehen: Sonja Kowalewski, geborene Sofja Wassiljewna Kowalewskaja (1850-1891).

Mathematik im Kinderzimmer

Im Russland des 19. Jahrhunderts wurde eine Frau geboren, die als erste Frau der Neuzeit in Mathematik promovierte und später die erste Mathematikprofessorin der Welt wurde. Doch alles begann im Kinderzimmer.

Da ihre Eltern keine anderen Tapeten zur Verfügung hatten, ließen sie das Kinderzimmer mit Vorlesungsskripten über Differential- und Integralrechnung tapezieren. So kam Sonja Kowalewski schon früh mit Mathematik in Berührung, eine Begegnung im Kinderzimmer, die ihr ganzes Leben prägen sollte.

Leidenschaft für Mathematik und Physik

Zunächst war es ein Onkel, der ihr Interesse an Mathematik förderte. Als ihr Vater jedoch bemerkte, dass sie sich immer mehr für Algebra und Geometrie interessierte, verbot er ihr das Studium. Von da an musste sie sich heimlich mit Mathematik beschäftigen.

Im Alter von 15 Jahren las sie ein Physikbuch, das ein Nachbar geschrieben hatte. Nachdem sie Erklärungen dazu geben konnte, setzte sich der Autor bei ihrem Vater dafür ein, dass sie Unterricht in höherer Mathematik erhielt.

So bekam sie einen Privatlehrer in St. Petersburg. Damals durften Frauen in Russland weder studieren noch als Gasthörerinnen Vorlesungen besuchen.

Stationen bei namhaften Persönlichkeiten in Deutschland

Um Russland verlassen und ihre Studien fortsetzen zu können, ging sie 1868 eine Zweckehe mit dem Paläontologen Wladimir Kowalewski ein. Gemeinsam reisten sie zunächst nach Österreich, dann nach Deutschland, wo Sonja Kowalewski 1869 an der Universität Heidelberg bei den Mathematikern Leo Königsberger und Paul du Bois-Reymond sowie dem Physiker Hermann von Helmholtz studierte.

Anschließend ging sie nach Berlin, wo ihr jedoch der Zugang zur Universität verwehrt wurde, weil sie eine Frau war. Deshalb nahm sie Privatunterricht bei dem Mathematiker Karl Weierstraß.

1874 reichte sie an der Universität Göttingen drei Arbeiten über partielle Differentialgleichungen, die Ringe des Saturn und elliptische Integrale als Dissertation ein und wurde in Abwesenheit mit summa cum laude promoviert. Ihre Arbeit brachte ihr große Anerkennung in der europäischen mathematischen Gemeinschaft ein.

Erste Erfolge und Anerkennung

Nun hatte Sonja Kowalewski ihren Doktortitel in der Tasche, die Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen und damit erste Erfolge vorzuweisen. Doch eine promovierte Physikerin wollte in Europa niemand einstellen.

Nach Abschluss ihres Studiums kehrte sie deshalb nach Russland zurück, wo 1878 ihre Tochter geboren wurde. Es folgten Stationen in Berlin und Paris, um ihre Studien fortzusetzen. 1881 trennte sie sich endgültig von ihrem Mann, der sich einige Jahre später wegen Spielschulden das Leben nahm.

Einmalige Ehrungen für eine Frau

1883 nahm Sonja Kowalewski die Einladung von Magnus Mittag-Leffler an, Mathematik an der Universität Stockholm zu lehren. Dies war eine Sensation und wurde in allen schwedischen Zeitungen erwähnt.

Kurz darauf wurde sie Redaktionsmitglied der mathematischen Zeitschrift Acta Mathematica und später als erste Frau zum korrespondierenden Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Außerdem erhielt sie den Prix Bordin der französischen Akademie der Wissenschaften für eine Arbeit über die Rotation eines Festkörpers um einen Fixpunkt. 1889 wurde sie schließlich ordentliche Professorin an der Universität Stockholm.

Ihre Professur für Mathematik konnte sie jedoch nicht lange ausüben. Nur wenige Jahre nach ihrer Berufung erkrankte sie an einer Lungenentzündung, an deren Folgen sie 1891 starb.

Frauenrechtlerin und Schriftstellerin

Sonja Kowalewski war aber auch Frauenrechtlerin und engagierte sich politisch. Zudem machte sie sich als Schriftstellerin einen Namen. Sie schrieb Romane, Theaterstücke und Essays, darunter ihre autobiographischen Kindheitserinnerungen und der Roman Die Nihilistin.

Literaturhinweise:

  • Stewart, Ian. 2017. Significant Figures: The Lives and Work of Great Mathematicians. Basic Books.
  • Tollmien, Cordula. 1995. Fürstin der Wissenschaft: die Lebensgeschichte der Sofja Kowalewskaja. Beltz GmbH.
  • Tuschmann, Wilderich. 1993. Sofia Kowalewskaja: Ein Leben für Mathematik und Emanzipation. Birkhäuser Basel.