Wir schreiben das Jahr 2022. Auf einem Friedhof in Polen finden Ausgrabungen statt. Der Fund? Eine geheimnisvolle Tote aus dem 17. Jahrhundert, die aufgrund ihrer ungewöhnlichen Bestattungsart wohl mit allen Mitteln daran gehindert werden sollte, die Lebenden heimzusuchen.
Was war das Besondere an diesem Fund? Wie kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass sie daran gehindert werden sollte, von ihrer letzten Ruhestätte aufzustehen?
Nun, sie war mit einem Vorhängeschloss gesichert, einem dreieckigen Schloss, das an ihrem linken Zeh befestigt war. Außerdem wurde ihr eine Sichel um den Hals gelegt, damit sie nicht aufstehen konnte. Bekannt wurde die Frau deshalb als Vampirfrau.
Als die Frau starb, war sie zwischen 17 und 21 Jahre alt. Die Wissenschaftler glauben nicht, dass die Frau von ihren Zeitgenossen als lebender Vampir angesehen wurde. Diese Bezeichnung erhielt sie erst nach den Ausgrabungen.
Offensichtlich wurde sie aber von ihrer Umgebung schlecht behandelt. Es wird vermutet, dass die Frau körperlich beeinträchtigt war oder unter einer psychischen Störung litt, was von ihren Mitmenschen als abnormal empfunden wurde. Deshalb wurde sie schlecht behandelt und man wollte verhindern, dass sie sich nach ihrem Tod rächte.
Kürzlich wurde dieser Frau ihr Gesicht zurückgegeben. Mit Hilfe von DNA-Proben und historischen Informationen konnte ein schwedischer Archäologe und Bildhauer ihr Gesicht rekonstruieren.
Warum war Andersartigkeit nicht erwünscht? Ein wichtiger literarischer Text in diesem Zusammenhang war und ist die Bibel. Dort ist von unterschiedlichen Menschen die Rede, die aufgrund ihres Andersseins nicht der gewünschten Vorstellung entsprachen. Darunter waren Personen, die als bucklig, blind, lahm oder kleinwüchsig beschrieben wurden. Es handelte sich also um Menschen, die nicht einer Norm entsprachen.
Solche Menschen wurden öfters zu Bösewichten stilisiert, was sich mit der Zeit auch in der weltlichen Literatur und auch in der allgemeinen Wahrnehmung der Menschen widerspiegelte. Eine Andersartigkeit, eine Missbildung, eine Behinderung wurde als Hässlichkeit verstanden, die moralisch schlechte Menschen kennzeichnete.
War das vielleicht der Grund, warum die junge Frau einst von ihrer Umgebung so schlecht behandelt wurde, weil sie aus einem physischen oder psychischen Grund anders war als ihr Umfeld? War die schlechte Behandlung wiederum der Grund, warum man nach ihrem Tod fürchtete, sie könnte sich an ihren Mitmenschen rächen?
Eine Studie zeigt, dass das Aussehen einen großen Einfluss auf unser moralisches Empfinden hat: Ob eine Ausgrenzung von Außenstehenden als gerechtfertigt und akzeptabel empfunden wird, hängt von den Gesichtszügen der Ausgeschlossenen ab. Bei Ausgegrenzten, deren Gesichtszüge als kühl oder wenig kompetent wahrgenommen werden, wird der Ausschluss eher akzeptiert.
Sei du selbst! Alle anderen sind bereits vergeben.
Wie wir uns in einer spezifischen Situation verhalten, hängt oft davon ab, welchen ethischen Grundwerten wir folgen. Doch hat ein Mensch jemals das Recht, andere Menschen, die nicht in ein bestimmtes Weltbild oder in vermeintlich genormte Ideale zu passen scheinen, schlecht zu behandeln?
Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest.
Literaturhinweise:
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