Geschichtsschreibung

Matrilokalität

Matrilokalität

Eine kürzlich veröffentlichte bahnbrechende DNA-Studie zeigt: Die Kelten in Britannien waren in der Eisenzeit matrilokal organisiert. In diesem sozialen System zogen die Ehemänner in die Gemeinschaft ihrer Frauen, und das Land wurde an die Frauen vererbt. Frauen standen im Zentrum der sozialen Netzwerke.

Soziale Netzwerke

Heiratspraktiken, insbesondere diejenigen, die bestimmen, wo die Ehepartner nach der Heirat leben und sterben, sind von grundlegender Bedeutung für menschliche Gesellschaften. Sie prägen beispielsweise das Verständnis von Familie, beeinflussen die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und regeln den Landbesitz.

Solche Praktiken gibt es überall auf der Welt, wobei die Patrilokalität, bei der eine Frau nach der Heirat Teil der Gemeinschaft ihres Mannes wird, am weitesten verbreitet ist. Dies war nicht immer und überall der Fall.

Erkenntnisse aus Südengland

Eine Analyse von Begräbnisstätten in Dorset, Südengland, zeigte, dass dort eine große Verwandtschaftsgruppe bestattet wurde. Die Rekonstruktion des Stammbaums mittels DNA-Analyse ergab, dass die meisten Mitglieder ihre mütterliche Abstammung auf eine einzige Frau zurückführten, die Jahrhunderte zuvor gelebt haben musste. Über die väterliche Linie gab es so gut wie keine Verbindungen.

Die Forscher schlossen daraus, dass die Männer zu den Frauen zogen und sich das gesellschaftliche Leben insgesamt mehr um die Frauen drehte. Wie sich herausstellte, handelte es sich um ein weitverbreitetes Phänomen mit tiefen Wurzeln auf der britischen Insel. Man spricht von keltischer Frauenpower.

Ein tief verwurzeltes System

Nach der ersten Entdeckung in Südengland begannen die Forscher, Überreste in anderen Teilen Großbritanniens zu untersuchen. Sie stellten fest, dass mehrere Friedhöfe erhalten geblieben waren, auf denen die Bestatteten meist mütterlicherseits von einer weiblichen Vorfahrin abstammten. Dies war auch in Yorkshire der Fall, wo um 400 v. Chr. eine weibliche Linie dominierte. Das wird als Matrilokalität gedeutet.

Matrilokalität geht in der Regel mit kulturellen Praktiken einher, die den Frauen zugute kommen und sie in ihre familiären Unterstützungsnetze einbinden. Dazu gehört auch eine stärkere Beteiligung der Frauen an der Nahrungsmittelproduktion. In solchen sozialen Netzwerken ist es der Mann, der als relativ Fremder in eine neue Gemeinschaft einwandert und für seinen Lebensunterhalt von der Familie seiner Partnerin abhängig ist.

Warum sind solche Forschungen wichtig?

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Frauen in bestimmten Regionen vor Jahrtausenden relativ mächtig waren. Genetische und archäologische Daten zeigen beispielsweise in diesem Fall, dass Frauen im eisenzeitlichen Britannien Land und Einfluss erbten.

Dies ermöglicht neue Interpretationen dessen, was die Römer über sie schrieben. Ein Großteil unseres Wissens über die antike Welt stammt aus begrenzten literarischen Quellen. Diese Quellen wiederum sind stark kulturell voreingenommen und dokumentieren ein einseitiges Bild.

Im Übrigen zeigen solche Forschungen auch, dass es nicht immer so war, dass nur Männer Machtpositionen innehatten und Frauen untergeordnet waren, quasi als sei uns das genetisch angeboren, wie uns manche heute noch glauben machen wollen.

Literaturhinweise:

  • Cassidy, Lara M., Miles Russell, Martin Smith, et al. 2025. Continental influx and pervasive matrilocality in Iron Age Britain. Nature.
  • Derungs, Kurt (Hrsg.). 1995. Keltische Frauen und Göttinnen: matriarchale Spuren bei Kelten, Pikten und Schotten. Edition Amalia.
  • Göttner-Abendroth, Heide. 2019. Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats: Westasien und Europa. Verlag W. Kohlhammer.

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