Vor einigen Jahren hatte ich ein einschneidendes Erlebnis, als ich mein Kind in den Kindergarten brachte. Während mein Sohn seine Schuhe auszog, kam ein anderer Junge auf ihn zu, schaute sich die Schuhe an und war erstaunt: ,,Deine Schuhe sind violett, das sind doch Mädchenschuhe!''
Der Junge war sichtlich irritiert. Die Schuhe, die mein Sohn damals trug, waren mit dunkelvioletten Streifen versehen. Kein Glitzer, kein Rosa. Nein, es waren ein paar dunkelviolette Streifen, die für den Jungen die Assoziation Mädchen hervorriefen.
Diese Erfahrung machte mich nachdenklich. Wie konnte ein vier- bis fünfjähriger Junge zu der Überzeugung gelangen, dass Dunkelviolett eindeutig eine Mädchenfarbe sei? Ich kam zu dem Schluss, dass es sich um eine frühkindliche Prägung durch das Elternhaus handeln könnte.
Aber es geht nicht nur um die Wahl der scheinbar richtigen oder falschen Farbe. Wie eine Studie zeigt, haben Kinder bereits vor der Einschulung eine klare Vorstellung davon, in welchen Fächern welches Geschlecht kategorisch besser oder schlechter ist.
So scheinen Jungen schon bei der Einschulung besser in Computer und Technik zu sein, während von ihnen oft erwartet wird, dass sie schlechter lesen können als Mädchen. Dies sind Erwartungen, die durch das Verhalten im schulischen Kontext oft noch verstärkt werden und die sich dann, wenig überraschend, auch bewahrheiten.
Interessanterweise sind die meisten Kinder jedoch der Meinung, dass Mädchen und Jungen in Mathematik gleich gut sind. Zumindest ist dies bei der Einschulung der Fall. Mit der Anzahl der Schuljahre ändert sich dieses Bild zu Ungunsten der Mädchen.
Schon vor der Einschulung haben viele Kinder eine klare Vorstellung davon, welche Fächer zu welchem Geschlecht gehören. Es gibt also schon sehr früh Vorurteile darüber, welche Fähigkeiten jemand aufgrund seines Geschlechts hat und welche nicht.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt deutlich, dass es sich dabei um die Reproduktion von Stereotypen und Vorurteilen handelt, die aus dem Elternhaus oder dem näheren Umfeld des Kindes stammen. Es handelt sich um Narrative, die an die Kinder weitergegeben und somit reproduziert werden, und nicht um angeborene geschlechtsspezifische Veranlagungen. Wie Kinder sich und ihre Fähigkeiten in diesem Kontext einschätzen, hängt vor allem vom häuslichen Umfeld und den frühkindlichen Erzieher*innen ab.
Diese Vorurteile, diese geschlechtsspezifischen Zuschreibungen haben weitreichende Folgen für die Kinder. Die Erwartung, dass Jungen schlechter lesen oder Mädchen schlechter in Technik sind, ist demotivierend, entmutigend und beeinflusst letztlich die jeweiligen Leistungen. So tritt häufig genau das ein, was erwartet wird, ohne dass es so sein müsste.
Zum einen werden den Kindern zu Hause geschlechtsspezifische Narrative vermittelt, an die sie sich anzupassen versuchen. Zum anderen zeigen Studien deutlich, dass Lehrkräfte Mädchen in den sogenannten MINT-Fächern und Jungen in den Sprachen und damit verbunden in der Lesekompetenz unterschätzen. Ein Gesellschaftsbild, das es kritisch zu hinterfragen gilt.
Literaturhinweise:
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